Individualitaet

=== Individualität ===

Konzept der Individualität in anderen Kulturen

Aus einer mail von Franz:

Date: Sun, 13 Apr 2003 23:16:24 +0200
From: "Franz J. Nahrada" <f.nahrada@reflex.at>
Subject: Re: Re: [ox] Gibs Gruppen?  (war: ... Warum Herrschaftsdebatte?)
To: liste@oekonux.de

[...]

Klar ist, daß der Ausgangspunkt beim ungesellschaftlichen Individuum in die Irre führt, das Individuum ist selbst gesellschaftlicher Schein, gesellschaftliches Produkt. Da sind wir uns einig. Ist auch von Psychoanalyse und Marxismus aus verschiedenen Blickwinkeln mal beleuchtet worden, ohne daß wir schon eine volle Theorie der Individuation hätten.

Es war für mich übrigens total spannend, in verschiedenen Kulturen völlig verschiedene Konzepte von Individualität kennenzulernen und zu sehen, daß das handlungsleitende "Konzept vom Selbst" total differieren kann.

In der engeren Europäischen Tradition ist dies das als Grundkonflikt zwischen Individuum und Gesellschaft erscheinende "unglückliche Bewußtsein"...es gibt aber in anderen Kulturen diesen Grundkonflikt so nicht. Entweder existiert die Form des Individuums als handlungsleitendes Konzept so nicht, oder umgekehrt wird Gesellschaft quasi als "zusammengesetzt" gedacht und praktiziert. Letzteres war für mich die spannende Entdeckung in Nordamerika, was die indianischen Traditionen anbelangt. Dort ist es usus, daß Individuum zu sein bedeutet, sich einer von vitalen gesellschaftlichen Grundfunktionen zugehörig zu fühlen, die erst in einem kommunikativen Akt einen gemeinschaftlichen Willen formen. Dann drückt sich aber durchs Individuum hindurch sozusagen gesellschaftliche Substanz aus, ein Gedanke, der uns Europäern ziemlich fremd ist - leider. Die Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft hat für mich überhaupt erst seit der Beschäftigung mit der (natürlich für die abendländischen Denk- und Begriffswelten aufbereiteten) Theorie der indianischen Ratsversammlung einen greifbaren und nachvollziehbaren Inhalt bekommen!! Und das war ziemlich spät, wenn ichs bedenke....

Interessant ist, daß die Indianer "holarchisch" denken: sie kennen acht gesellschaftliche Grundkräfte (fast so wie im periodensystem der Elemente), die im Individuum selbst quasi binnenpsychologisch genauso Einheit des Lebendigen herstellen. Diese Grund- kräfte können beschrieben werden als: Kreativität, Affirmation, emotionale Intelligenz, Identitätssinn, Wissenschaft, Prognostik, Wille und Gerechtigkeits/Vitalitätssinn. die letzte Funktion steuert das Zusammenwirken aller anderen sieben "Intelligenzen". Nun ist, soziologisch ausgedrückt, die Funktion einer Gruppe wiederum die Erweiterung des menschlichen Handlungsspielraumes, indem Menschen bewußt diese Funktionen verkörpern und quasi füreinander Korrektive bieten. Das kommt dem schon ziemlich nahe, was Du vielleicht ansprechen wolltest. Es ist spannend, diesen Prozeß in actu zu erleben, also eine möglichst vollständige Entfaltung der in einem Prozeß schlummernden menschlichen Intelligenzpotentiale. Das ist, was die Indianer interessanterweise den "Weg der Schönheit" nennen. Dazu haben sie Rituale, die aber nicht willkürlich festgesetzt sind, sondern einem theoretisch genau ableitbaren Zweck dienen. Sogar die Reihenfolge des Sprechens (Osten, Südosten, Süden, ....) dient einem dialektischen Entfaltungsprozeß eines gesellschaftlichen Allgemeinwillens, der eben nicht abstrakt sein darf. Außerdem sollte jedes Prinzip in sich selbst sowohl von männlicher als auch von weiblicher Seite betrachtet werden, ein Prinzip, das auch bei Göttner-Abendroth in ihren Matriarchats- utopien eine wesentliche und für mich nachollziehbare Rolle spielt.

Alles in allem ein "soziales betriebssystem", das m.E. dem unseren, das einfach atomistische verhältnisse voraussetzt, haushoch überlegen zu sein scheint. Aber gerade das bringt mich eben sehr in Zweifel, ob ein begriff der "Gruppe", der gerade von solchen gesellschaftlichen Unterschieden abstrahiert, irgendeinen Sinn macht.

Dazu noch zwei links zum Weiterlesen:

www.co-i-l.org (Community Intelligence Lab, eine Website meines Bekannten George Por, Paris)

http://www.co-i-l.com/coil/knowledge-garden/index.shtml

da verbirgt sich ein Haufen Literatur dahinter,

speziell zu der von mir geschilderten "indianischen" Methode siehe zuletzt http://www.vision-nest.com/cbw/Circle.html

Siehe auch

Lokal

Extern

"Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?"
Individualität im Schnittfeld der Identitäten http://www.selbstdenken.de/Individualitaet.html