Ddr Oek 20030512

Date: Mon, 12 May 2003 15:56:30 +0200 (CEST)
From: Wolf …
Subject: Re: [ot:wak] Politische Ökonomie der DDR
To: wak@opentheory.org

Hallo,

ich, der wessi, will mal etwas laenglich aus einem buch zitieren, das ich mir vor knapp 30 kaufte (ein guter freund riet mir dabei, trotz allem das kapital zu lesen!):

"Die Produkte sind im Sozialismus Waren. Sie haben einen Gebrauchswert, der die Gebrauchseigenschaften dieser Produkte charakterisiert, und einen Wert, der die in den Produkten vergegenstaendlichte abstrakte (von allen konkreten Unterschieden befreite) Arbeit widerspiegelt. Der Produktionsprozess ist Arbeitsprozess und zugleich Wertbildungsprozess; im Produktionsprozess werden die Gebrauchswerte hergestellt, der Wert der Produktionsmittel auf die neuen Produkte uebertragen und der Neuwert erzeugt (Marx, K., Das Kapital, Erster Band, in: Marx/Engels, Werke, Bd. 23, Berlin 1962. S. 214-216).

Die Fonds beschreiben Kreislaeufe, in denen aus materiellen Fonds finanzielle und aus finanziellen materielle Fonds werden.

Der Preis der Produkte drueckt ihren Wert aus. Er stimuliert eine effektive und bedarfsgerechte Produktion. Das Geld als allgemeines Aequivalent bietet den sozialistischen Betrieben ebenso wie der Bevoelkerung die Moeglichkeit, Waren, Produktionsmittel und Konsumtionsmittel zu kaufen. Die planmaessige Verteilung der Geldeinkommen gestattet, die Nachfrage der Betriebe und Bevoelkerung planmaessig zu lenken.

Die materielle Planung, die die materiellen Proportionen sichert, ist der Ausgangspunkt des Planungsprozesses, weil die Gebrauchswerte der Produkte die Beduerfnisse der sozialistischen Gesellschaft befriedigen.

Die Preisplanung verbindet die materielle und die finanzielle Planung. Ueber den Preis erhaelt jede materielle Proportion einen Geldausdruck.

Die finanzielle Planung, die die finanziellen Proportionen sichert, spiegelt einerseits die materiellen Proportionen wider, um sie realisieren zu helfen. Andererseits besitzt sie eine Eigenstaendigkeit, weil die finanziellen Fonds, die Geld sind, eine grosse Disponibilitaet (Fussnote: Diese Disponibilitaet der Geldfonds der Betriebe kann durch gesetzliche Regelungen eingeschraenkt werden. Dadurch wird aber das Geld in seiner Funktion, allgemeines Aequivalent zu sein, ebenfalls eingeschraenkt.) haben; das erlaubt, Korrekturen an der materiellen Produktion vorzunehmen, um sie zu verbessern, oder aber auch um sie zu verletzen, wodurch Widersprueche zwischen der materiellen und finanziellen Planung auftreten koennen.

Die Einheit von materieller und finanzieller Planung schliesst die Eigenstaendigkeit der finanziellen Planung ein. Nur unter diesen Bedingungen kann das Finanzsystem im Sozialismus eine aktive Funktion ausueben und zur hoeheren Effektivitaet der gesellschaftlichen Arbeit beitragen.

Die Preis- und Finanzplanung bieten die Grundlage fuer den Aufbau eines Systems von Kennziffern und Normativen (Gewinn, Lohn, Kosten, Preis, Kredit, Zins und anderes), die als oekonomische Hebel die materielle Interessiertheit der Werktaetigen und der Betriebskollektive an der Erfuellung der Planaufgaben, der besseren Befriedigung des Bedarfs und der hoeheren Effektivitaet der Produktion bewirken. (Es folgen einige Literaturhinweise zum VIII. Parteitag der SED. W.G:)"

Aus:

Eva Mueller: Der volkswirtschaftliche Reproduktionsprozess und dynamische Modelle. Verlag Die Wirtschaft. Berlin 1972. S. 19-20.

Verfasser (neben andern, W.G.): Prof. Dr. s. c. Eva Mueller, Ordentlicher Professor fuer sozialistische Volkswirtschaft an der Karl-Marx-Universitaet Leipzig (...) Konzeption und Bearbeitung des Gesamtmanuskripts.

Jau. Und nun noch ein paar seiten weiter:

"Die dynamischen Modelle der volkswirtschaftlichen Entwicklung, die im vorliegenden Buch behandelt werden, sind in der Regel Modelle fuer die materielle Planung des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses. (...)

Die dynamischen Modelle der volkswirtschaftlichen Entwicklung, die die materiellen Proportionen ausweisen, muessen durch dynamische Modelle der Preis- und der finanziellen Entwicklung ergaenzt werden; nur dann kann der volkswirtschaftliche Reproduktionsprozess vollstaendig (gebrauchswertmaessig und wertmaesssig) erfasst und die Einheit der materiellen, der Preis- und der Finanzplaung gesichert werden. (...)

Das Reproduktionsschema von Marx und Lenin ist ein Modell, das die gebrauchswert- und wertmaessige Seite des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses gleichermassen widerspiegelt. Die gebrauchswertmaessige Zusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts wird nach zwei Erzeugnisarten unterschieden: nach Produktions- und Konsumtionsmitteln. Die wertmaessige Zusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts weist die Bestandteile Ersatzfonds, Lohn und Reineinkommen aus. Dabei wird das Wechselverhaeltnis zwischen den Wertbestandteilen und den zwei Gebrauchswertarten des gesellschaftlichen Gesamtprodukts auf der Grundlage der Marxschen Mehrwert- und Reproduktionstheorie charakterisiert." (S.27, 28)

Ich will die beiden zitate nicht lange kommentieren, gelernte "ossies" werden die worthuelsen und phrasen besser verstehen als ich. Ich denke, dass man diesem selbstzeugnis der DDR entnehmen kann, dass es trotz aller planung kapitalistisch zuging. Im ersten zitat verweist der/die autorIn auf das kapital I, und zwar auf das sechste kapitel, das mit "Konstantes Kapital und variables Kapital" ueberschrieben ist. Der dort verwendete begriff "arbeitsprozess" ist im vorangehenden kapitel entwickelt: "Arbeitsprozess und Verwertungsprozess", Marx beschreibt beides als vorgaenge einer kapitalistischen welt!

Nun will ich statt weiteren kommentars Old Charly zitieren:

"Danach beurteile man die Pfiffigkeit des kleinbürgerlichen Sozialismus, der die Warenproduktion verewigen und zugleich den 'Gegensatz von Geld und Ware', also das Geld selbst, denn es ist nur in diesem Gegensatze, abschaffen will. Ebensogut könnte man den Papst abschaffen und den Katholizismus bestehen lassen." (Das Kapital I, MEW 23, Fussnote S. 102)

Die planung in den sich einstens selbst sozialistisch nennenden laendern war aus meiner sicht eine der Keynesianischen varianten, "den gegensatz von ware und geld abzuschaffen" ("planmaessige Verteilung der Geldeinkommen", "Reproduktionsprozess vollstaendig (gebrauchswertmaessig und wertmaessig) erfassen", "Einheit der materiellen, der Preis- und Finanzplanung sichern"). Und sowenig man diesen gegensatz abschaffen konnte, so wenig wurde man die "paepste" los.

Noch ne fussnote von Old Charly:

"Die Wertform des Arbeitsprodukts ist die abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der buergerlichen Produktionsweise, die hierdurch als eine besondere Art gesellschaftlicher Produktion und damit zugleich historisch charakterisiert wird. Versieht man sie daher fuer die ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion, so uebersieht man notwendig auch das Spezifische der Wertform, also der Warenform, weiter entwickelt der Geldform, der Kapitalform usw. Man findet daher bei Oekonomen, welche ueber das Mass der Wertgroesse durch Arbeitszeit uebereinstimmen, die kunterbuntesten und widersprechendsten Vorstellungen von Geld, d. h. der fertigen Gestalt des allgemeinen Aeqiuvalents." (Kapital I, MEW 23, s. 95, fussnote 23)

Wenn man dann noch Stalins Heftchen von 1952 ueber die oekonomie in der UdSSR hernimmt, sollte das beschaemende ergebnis klar sein: Es war, bei allem guten willen, den ich unterstellen will, "nur" kapitalismus.

Wobei es damals, das will ich hinzufuegen, kaum besser gehen konnte. Denn, wie wird man die warenproduktion los, ohne wieder nackend durch die savanne streifen zu muessen? Oder, praktisch und moderner: Wie kommt man zu ner tasse kaffee, wenn es nichts mehr zu kaufen gibt? Wir tun uns heute mit einer antwort immer noch schwer, damals duerfte sie nicht leichter gefallen sein!

gruss wolf